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Brennen, bis das letzte Feuer erlischt
Dauerbelastung bei Bundesligatrainern, erschienen am 23. September 2011, Stern.de

Der Arbeitsalltag von Bundesligatrainern ist mit dem von Topmanagern vergleichbar. Kein Wunder, dass sie von den gleichen Krankheiten heimgesucht werden, wie der Fall Ralf Rangnick zeigt.

Armin Veh ist seit Jahrzehnten Trainer. Er kann sich mit Inbrunst über den schlechten Rasen im heimischen Stadion beschweren. Und wenn die Gäule mit ihm durchgehen, nennt er auch mal den Spieler beim Namen, der den entscheidenden Fehlpass vorm gegnerischen Siegtor gespielt hat. Kurzum: Der Mann nimmt seinen Job verdammt ernst. Allerdings: Man sieht Armin Veh manchmal mit Zigarette und herzlichem Lachen im Gespräch mit alten Bekannten. Veh hat viele kleine Lachfältchen und wenn dem Frankfurter Trainer früher ahnungslose Präsidenten allzu sehr auf den Zeiger gingen, hat er schon mal durchblicken lassen, dass er nicht vorhabe, sich alles gefallen zu lassen. Daher ist Armin Veh bei Journalisten ausgesprochen beliebt. Aber: Einige haben dem Mann schon unterstellt, ihm fehle das "letzte Feuer".

Ralf Rangnick ist ebenfalls seit Jahrzehnten im Geschäft. Die Vorstellung, ihn mit einer Zigarette in der Hand zu sehen, ist in so realistisch wie die Idee, der Papst könne auf seiner Deutschlandreise ein Loblied auf die freie Liebe singen. Rangnick, privat ein nachdenklicher, durchaus emotional entscheidender Mensch, hat die Öffentlichkeit stets als hochintelligenten, kontrollierten Perfektionisten wahrgenommen. Er hat den Satz geprägt, wonach nur derjenige ein Feuer entfachen können, der selbst brenne. Das mit dem Feuer hören sie gerne in der Fußballbranche, in der es als höchstes Lob gilt, wenn man von einem Manager oder Trainer sagen kann, er "brenne an beiden Enden". Wer dauernd brennen muss, läuft allerdings Gefahr, irgendwann auszubrennen.

Jedes einzelne Spiel eine neue Reifeprüfung

Bundesligatrainer sind in vielerlei Hinsicht mit Spitzenmanagern vergleichbar. Was das Gehalt anbetrifft, die Arbeitszeiten und die spezifischen Berufskrankheiten. In einer Hinsicht sind Bundesligatrainer dann aber nicht mehr mit Spitzenmanagern zu vergleichen. Während die Spitzenkräfte von Dax-Konzernen in aller Regel unbehelligt im Restaurant sitzen können, weiß jedes Kind, wie der Trainer von Hannover 96 oder gar Bayern München aussieht. Abschalten kann man in dieser Branche der tausend Kameras allenfalls zuhause. Und im Gegensatz zum Dax-Vorstand, der einmal im Jahr seinen Aktionären gegenüber Rechenschaft erstatten muss, ist jedes einzelne Spiel eine neue Reifeprüfung.

Die extremsten Folgen: Herzinfarkt wie im Fall der schottischen Trainerlegende Jock Stein, der 1985 bei einem WM-Qualifkationsspiel starb - ähnlich wie der ehemalige Bayern-Trainer Gyula Lorant vier Jahre zuvor. Oder die Flucht in den Alkohol. Die traurigen Bilder des Meistertrainers Branco Zebec, der sturztrunken auf der HSV-Bank saß, sind noch immer eine erschreckende Mahnung an die heutige Trainergeneration. Heute gibt sich zwar niemand mehr die Blöße, fast von der Bank zu fallen. Gerüchte über Alkoholismus gibt es bei dem ein oder anderen aber schon.

"Das Rad dreht sich immer weiter"

Die weniger, aber dennoch dramatische Folge: Burnout. "Es wundert mich nicht, dass auch Bundesliga-Trainer dieser Managerkrankheit verfallen. Es ist auch für mich wichtig, mich zu disziplinieren und bewusst zu machen, wie wichtig geistige und emotionale Regeneration sind", sagt etwa Thomas Tuchel, der Trainer von Mainz 05. "Es tatsächlich umzusetzen, ist aber schwer. Denn das Rad dreht sich immer weiter."

Das meint auch der Bochumer Sportpsychologe Thomas Graw. Rangnick, findet er, habe sich "genau richtig verhalten", als er die Reißlinie zog: "Ein vegetatives Erschöpfungssyndrom ist ein Warnschuss, eine Ansage: Wenn das so weitergeht, kriegen wir ernsthafte Probleme." Der Schalke-Trainer hat die Ansage ernst genommen. Doch in der Arbeitswelt ist es gang und gäbe, weiterzufunktionieren, bis man endgültig an einem toten Punkt angelangt ist. Gerade im Fußball, diesem in sich geschlossenen System, in dem jeder Akteur unter Dauerbeobachtung steht, die immer intensiver wird. "Es ist ein andauernder Stress zu wissen, dass man permanent Energie investieren muss, ohne dass man auch Phasen der Regeneration hätte", sagt Thomas Graw.

"In diesem System übt jeder auf jeden Druck aus"

Flasche leer, Akku entladen - es gibt viele Bilder, die den Zustand der Ermüdung beschreiben. Hinzu kommt die öffentliche Dramatisierung. Im Grunde genommen muss ein Trainer bereits nach einer Niederlage die ersten mulmigen Gedanken bekommen, was seine Zukunft angeht. Zwei Niederlagen zu Saisonbeginn sind inzwischen schnell eine "Serie". Das nächste Spiel wird dann selbstredend zum "Schicksalsspiel" für den Trainer erklärt. In Gelsenkirchen wissen sie spätestens seit Mittwoch, dass ein Schicksal nicht unbedingt etwas mit den Zufälligkeiten zu tun hat, die 22 Männer während 90 Minuten produzieren.

Rangnicks Leverkusener Kollege Robin Dutt hat kluge Worte gefunden. "In diesem System übt jeder auf jeden Druck aus: Spieler auf Trainer, Trainer auf Spieler, Medien auf Spieler, Medien auf Trainer, Fans auf Spieler, Fans auf Trainer." Im Übrigen empfahl Dutt, der sich in seiner Freiburger Zeit einen Tag die Woche komplett für die in Stuttgart wohnende Familie Zeit genommen haben soll, "sich selbst Freizeit aufzuerlegen und Vertraute an der Seite zu haben, die einen warnen".

Wahre Worte. Aber warum reden dann in der Branche alle von morgens bis abends nur über Fußball? Es wird Zeit, Armin Veh in ganz neuem Licht zu sehen.

Fahrstuhl zwischen Wahrheit und Lüge
Die Schiedsrichter-Affäre, erschienen am 10. Februar 2011, Spiegel-Online

Ein Zungenkuss im Fahrstuhl, die Hand im Genitalbereich: In der Affäre um den ehemaligen Schiedsrichter-Beobachter Manfred Amerell und Referee Michael Kempter kamen vor dem Landgericht Hechingen pikante Details zur Sprache. Doch die wichtigsten Fragen sind nach wie vor ungeklärt.

Juristen sind offenbar abgebrühte Leute. Kurz nachdem Richter Alexander Meinhoff den Verhandlungstag in der Schiedsrichter-Affäre vor dem Landgericht Hechingen beendet hatte, wandten sich die Anwälte der beiden Kontrahenten mit recht gleichlautenden Stellungnahmen an die Medienvertreter. "Letztlich ist es nicht zu der befürchteten Schlammschlacht gekommen", sagte Jürgen Langer, Anwalt des ehemaligen Schiedsrichterbeobachters Manfred Amerell. Und war sich zumindest in diesem Punkt mit Christoph Schickhardt einig, der es als Rechtsbeistand von DFB-Schiedsrichter Michael Kempter ähnlich formulierte.

Nach dem Geschmack der zumeist älteren Zuhörer wurden am Donnerstag allerdings genügend Details präsentiert, die in den meisten zwischenmenschlichen Beziehungen aus gutem Grund nicht öffentlich erörtert werden. Doch genau das ist der Kern des Konflikts zwischen Manfred Amerell (63 Jahre alt) und dem 28-jährigen Kempter, der seit April vergangenen Jahres kein Pflichtspiel mehr gepfiffen hat: Während Amerell das Verhältnis, das zwischen beiden jahrelang bestand, als einvernehmlich schildert, will Kempter es gänzlich anders erlebt haben. Mit teils brüchiger Stimme schilderte er, wie Amerell ihm bei gemeinsamen Autofahrten die Hand auf den Oberschenkel gelegt habe und sich seinem Genitalbereich genähert habe.
Erstmals behauptet Kempter zudem öffentlich, dass Amerell sich bereits im Juli 2001 bei einem Lehrgang im niedersächsischen Barsinghausen genähert habe. Kempter war damals 18 Jahre alt. Er sei völlig verdattert gewesen, als ihn Amerell mit Zärtlichkeiten ("kurz umarmt, Kuss auf den Mund") empfangen habe und ihm die Hand auf den Oberschenkel gelegt habe. "Ich habe mir da anfangs nichts Schlimmes bei gedacht, ich wusste ja, dass Herr Amerell verheiratet ist." Amerell indes bestritt, dass es vor Mitte 2008 überhaupt zu Zärtlichkeiten gekommen sei.

"Die psychologische Hilfe hat ihm sehr geholfen"

Kempter, der bis dato weder in einem seiner Interviews noch bei der staatsanwaltlichen Vernehmung sexuelle Übergriffe Amerells zu einem solche frühen Zeitpunkt erwähnt hatte, erklärt das mit einer "Traumatisierung", die sich bei ihm erst nach therapeutischer Behandlung gelöst habe. "Die psychologische Hilfe hat ihm sehr geholfen", sagt sein Anwalt Christoph Schickhardt.

In Amerells Erinnerung stellt sich das Verhältnis der beiden Männer hingegen als intensive Freundschaft dar, die im Laufe der Jahre an Intensität zugenommen habe, ehe es Mitte 2008 erstmals zu einem sexuellen Kontakt gekommen sei. Den Einwurf des nicht eben zurückhaltenden Schickhardt, Amerell habe sich ja offenbar mehreren jungen Schiedsrichtern genähert, wies dieser empört von sich.

Im Mai 2008 kam es im Lift eines Kölner Hotels zu einem Zungenkuss. Das immerhin ist unstrittig. Alles andere nicht. "Er hat mir seine ekelhafte Zunge in den Mund gesteckt", sagte Kempter und sah sich fortan noch detaillierteren Nachfragen von Amerells Verteidiger ausgesetzt. Als Kempter schilderte, wie sich ihm Amerell über all die Jahre hinweg immer wieder besonders in engen Räumen genähert habe, schien es, als hätten die meist älteren Zuhörer Sympathien für den jungen Referee.
Kurz darauf legten sie aber wieder die Stirn in Falten, als Amerells Anwalt Langer aus einer E-Mail zitierte, die Kempter zwei Tage nach den Ereignissen im Kölner Hotel an Amerell schrieb: "Hi, Manni, die wahre Liebe gehört uns", heißt es dort. Kempters Erklärung: der zudringliche Amerell habe immer wieder "gut gestimmt" werden müssen.

Nach gut dreieinhalb Stunden zog sich Richter Alexander Meinhoff schließlich mit seinen Beisitzern zu einer längeren Beratung zurück, zu der schließlich auch die Prozessbeteiligten hinzugebeten wurden. Das Verfahren wird nun schriflich fortgesetzt. Wie eine Einigung aussehen könnte, bleibt angesichts der komplett unterschiedlichen Darstellungen, schwer vorstellbar. Kempter-Anwalt Jürgen Langer wollte immerhin so viel andeuten: "Als Fazit kann man sagen: es geht nicht ums Geld."