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NPD Verbieten?
erschienen, Frankfurter Hefte / 2012

Symptome verbieten

Eines vorweg: Es gibt Fragen, die nach einem weitaus kürzeren Abwägungsprozess zu beantworten sind als die nach der Sinnhaftigkeit eines NPD-Verbots. Ein Pro zum flächendeckenden Mindestlohn oder zur Notwendigkeit des Klimaschutzes fällt beispielsweise weitaus leichter als die Beantwortung der Frage, in der spätestens seit den NSU-Morden jede Diskussion um den Neonazismus in Deutschland geradezu zwangsläufig kulminiert.

Die antifaschistische Gretchenfrage – wie hältst du es mit dem NPD-Verbot? – ist eine, bei der die konträren Positionen auf stichhaltige Argumente verweisen können. Statt eines donnernden „Contra“ mag mir deshalb allenfalls ein verzagtes „eher dagegen“ über die Lippen kommen. Umso überzeugter bin ich allerdings, dass die Diskussion um das Parteiverbot die eigentlich entscheidenden Frage bei der Bekämpfung des Neonazismus überlagert.

Die Verbots-Befürworter haben zwei gewichtige Argumente auf ihrer Seite. Zum einen sind staatliche Mittel aus der Parteienfinanzierung längst die Haupteinnahmequelle einer Partei, der man als Demokrat keinen einzigen Cent gönnt. Das ist ein im Wortsinne perverser Vorgang. Zum anderen wird es der NPD als legaler Partei durch das Parteienprivileg ermöglicht, offen neonazistische Demonstrationen anzumelden, die anderenfalls wohl schlichtweg verboten würden. Diese Demonstrationen – auch das ist eine unumgängliche Perversion des verfassungsgemäßen polizeilichen Auftrags– werden abermals mit Millionen an Steuergeldern vor denjenigen „geschützt“, denen sie aus gutem Grund unerträglich sind.

Inhaltlich gäbe es sowieso viele Gründe, diese offen (neo-) rassistische , offen antisemitische und revanchistische Partei als das zu brandmarken, was sie ist: Eine Formation, die dem „System von 1949“ (Parteivize Karl Richter) bis ins Vokabular hinein genau die Verachtung entgegenbringt, die bereits die Nationalsozialisten der Weimarer Reichsverfassung angedeihen ließen. Die Expertendiskussion, ob die NPD dabei von einem „verfassungswidrigen Verhalten“ (das nachzuweisen für ein erfolgreiches Verbotsverfahren notwendig wäre), oder bloß von einer „verfassungsfeindlichen Haltung“ (die nicht ausreichen würde) gekennzeichnet sei, überlasse ich dabei gerne den Experten.

Mich treibt eher die, zutiefst politische, Frage um, ob ein NPD-Verbot den gewünschten Effekt hätte. Daran sind umso mehr Zweifel erlaubt, als viele Befürworter eines Verbotes einen administrativen Schritt (der zugegebenermaßen eine politische Signalwirkung hat) mit einer konsistenten inhaltlichen Strategie gegen Rechtspopulismus und Neonazismus verwechseln. Viele der Befürworter eines Parteiverbotes, scheint mir, sind vielleicht auch deshalb so überzeugt von der Richtigkeit ihres Weges, weil sie die Frage nach dem Verbot mit einem inhaltlichen Votum gleichsetzen – und damit verwechseln.
Wer die Frage positiv beantwortet, ob die Welt eine bessere wäre, wenn es diese Partei nicht gäbe, findet es offenbar häufig auch konsequent, genau deshalb für ihr Verbot zu optieren.

Doch das ist ein Trugschluss. Die NPD ist nicht gleichzusetzen mit der neonazistischen Szene in Deutschland. Sie ist – bei all ihrer Widerwärtigkeit – nicht einmal ihr größter und auch nicht ihr gefährlichster Teil. Die NPD ist als Wahlpartei und als organisatorische Hülle Teil eines bestens vernetzten Mikrokosmos aus rechten Klein- und Kleinstparteien, ungebundenen Alt-Nazis und NS-Nostalgikern sowie den nur lose organisierten neonazistischen Kameradschaften. Deren Mitglieder haben oft ein ambivalentes Verhältnis zur Partei, viele Aktivisten lehnen die NPD gar als zu „bürgerlich“ oder „etabliert“ ab. Andere Teile sympathisieren offen mit ihr – ein großer Teil des Führungspersonals vor allem der Nachwuchsorganisation „Junge Nationaldemokraten“ rekrutiert sich aus der aktivistischen Szene – oder sind zumindest zu partieller Zusammenarbeit (Saalschutz, gemeinsame Demonstrationen) bereit.
Im Grunde ist die NPD isoliert betrachtet ein desolater Haufen von etwa 5000 Mitgliedern, deren wenige strategische Köpfe von den Machtzentren in Schwerin, Dresden (die Sitze der beiden Landtagsfraktionen) und Riesa (Sitz des parteieigenen „Deutsche Stimme“-Verlags und Wohnort vieler Funktionäre) von Aurich nach Zittau delegiert werden, um eine Ansammlung von Wirrköpfen und Kriminellen auf Kurs zu bringen. Ein Unterfangen, das überraschenderweise wenige Erfolge zeitigt. Hätte die NPD sich nicht unter ihrem ehemaligen Vorsitzenden Udo Voigt konsequent gegenüber den SA-Epigonen xxx geöffnet – ihr würde in defensiv geschätzten 95 % der Wahlkreise schlicht das Personal fehlen, um ein paar Plakate aufzuhängen.

Was aber auch zutrifft: Dort, wo die Kameradschaften stark sind, wo die losen Neonaziverbände die Jugend- und Subkultur (mit)prägen, feiert auch die NPD die entsprechenden Wahlerfolge.
Ohne ihre Fußtruppen fristet sie ein Dasein, das mit dem der DVU in den Neunzigern vergleichbar ist: Auch die NPD ist in den meisten Wahlkreisen allenfalls eine leere Hülle – eine Postfachadresse, hinter der sich ein kein nennenswertes Parteileben verbirgt. NPD-Aktivisten sehen sich als Teil einer politischen Bewegung. Ihre Loyalität gilt nicht der Partei, sondern einem völkischen „nationalen Sozialismus“, die Säulenheiligen der Bewegung sind die Gebrüder Strasser und Rudolf Hess. Nicht Holger Apfel, der derzeitige NPD-Vorsitzende.

Was also würde passieren, wenn die Partei verboten wäre und sich – was nicht eben wahrscheinlich ist – nicht binnen kurzem eine entsprechende Nachfolgepartei gegründet hätte? Was würde das substanziell am gesellschaftlichen Alltag Uckermark, dem Leipziger Land oder in Ostsachen ändern? Würde auch nur ein Migrant sicherer leben, würde sich auch nur ein Linker, eine Homosexuelle weniger bemüßigt fühlen, nach dem dritten Aufenthalt in der Notaufnahme doch in die nächstgrößere Stadt zu ziehen?
Wer längere Zeit im europäischen Ausland gelebt hat, ist immer wieder verwundert, wie parteienfixiert die politische Wahrnehmung hierzulande ist. Es bedurfte zweier Wahlerfolge der „Piraten“-Partei, um sich des Themas Internet zu vergegenwärtigen. Und folgerichtig sorgte erst der Landtagseinzug der NPD in die Parlamente von Schwerin und Dresden für eine öffentliche Empörung, die all die anderen Parameter, anhand derer die Wirkungsmächtigkeit neonazistischer Ideologien (rassistisch motivierte Morde, Propagandadelikte, Zahl der Kameradschaften, Bands und Internetseiten) beschrieben werden kann, niemals hätten auslösen können. Anders gesagt: Wenn wir an die Zustände denken, die uns unerträglich vorkommen, subsummieren wir deren Urheber gerne unter dem Signet NPD. In völliger Missachtung der Tatsache, dass militante Neonazis, die ein Parteibuch in der Gesäßtasche haben, auch dann „Ausländer“ oder andersdenkende Jugendliche verprügeln, wenn man sie ihres Mitgliedsausweises beraubt.

All das sind Argumente, die dagegen sprechen, dass sich durch ein NPD-Verbot die gesellschaftliche Realität signifikant ändern würde. Ich wäre dennoch für den Gang nach Karlsruhe, wenn ich nicht starke politische Gründe sehen würde, die einem Verbot entgegenstehen.
Doch ich weiß, dass die Attraktivität der NPD in ihren Hochburgen nicht zuletzt dem Umstand geschuldet ist, dass sie sich konsequent zum Märtyrer stilisiert – und damit als optimale Projektionsfläche für Menschen, die sich von der offiziellen Politik und er Mehrheitgesellschaft vergessen und verachtet fühlen. Wer nach dem Schulabschluss vor der Alternative steht, sein Leben lang arbeitslos zu sein, oder in ein fremdes Bundesland zu ziehen, empfindet die Oden an die „Freiheit“, die Joachim Gauck so hymnisch intoniert, als weit weniger erhebend als die Akademiker in florierenden westdeutschen Wohlstandenklaven. Das ist der gleiche Grund, warum antifaschistische Präventionsarbeit sich nicht auf abstrakte Apelle für „Toleranz“ oder Empathie („Mein Freund ist Ausländer“) erschöpfen darf. Und es ist der Grund, warum die NPD-Propaganda verfängt, wonach die staatliche Repression doch nur zeige, wie groß die Angst vor den „Wahrheiten der NPD“ sei. Das – selbstredend taktische– Argument, dass eine echte Demokratie unliebsame Meinungen nicht verbieten dürfe, verfängt darüberhinaus nach meinen Erfahrungen zumindest im Rosa-Luxemburg-sozialisierten Osten auch bei Menschen, die die NPD ablehnen oder sogar bekämpfen. Auch sie empfänden ein Verbot nicht als Manifestation eines starken, sondern eines schwachen Staates.
Die NPD nicht zu verbieten darf allerdings keinesfalls bedeuten, dass der Kampf gegen Neonazismus weniger ernst genommen wird. Ganz im Gegenteil: Er sollte endlich ernsthaft aufgenommen werden. Das fängt damit an, dass man sich genau mit der Partei beschäftigt, die man zu bekämpfen vorgibt. In Brandenburg wurde beim „Jugend debattiert“-Wettbewerb Mitte März eine Schülerin ausgezeichnet, die die DVU für noch gefährlicher als die NPD hielt, u.a. weil sie mehr Mitglieder habe. In der Jury saß auch die Bildungministerin. Auch ihr war offenbar entgangen, dass die DVU Ende 2010 in der NPD aufgegangen ist.

Es ist blanker Zynismus, wenn die gegenwärtige Bundesregierung sich beim NPD-Verbot aufplustert und gleichzeitig dutzenden Initiativen, die vor Ort den Kampf gegen den Alltagsrassismus aufnehmen, die Mittel kürzt. Es ist blanker Zynismus, wenn Gegen-Rechts-Initiativen nachweisen müssen, dass ihre Mitarbeiter auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Und es ist ein Skandal erster Güte, dass all das geschieht, weil die so genannte Extremismustheorie des Dresdner Wissenschaftlers Eckhard Jesse nicht als intellektuell defizitär sondern als eine Art biblische Weisheit gesehen wird. Jesse, der nichts dagegen hat, wenn man ihn „Rechtsextremismusexperte“ nennt, war übrigens bass erstaunt, dass sich in Deutschland rechtsterroristische Strukturen herausgebildet haben. Kein Wunder, schließlich ist die Quintessenz seines Theorems ja, dass „Rechtsextremismus“ (forderte über 150 Todesopfer seit der Wende) und „Linksextremismus (Fehlanzeige) gleich gefährlich seien. Jesse ist nun selbstverständlich für ein NPD-Verbot – wen wundert das?

Es gibt gute Argumente für ein Verbot und es gibt kompetentere Befürworter als Jesse. Unabhängig von der Frage, ob man die Partei denn nun verbieten lassen will oder nicht, sollte aber klar sein, dass das eine wichtige, keinesfalls aber die entscheidende Frage ist, wenn man das Ziel hat, zu verhindern, dass immer mehr Jugendliche in die bestens ausgestattete Subkultur abdriften. Solange es noch hunderte Schulen gibt, deren Direktoren (vielleicht sogar guten Gewissens) behaupten, ihre Schule sei „nazifrei“, während sich auf dem Pausenhof dutzende Schüler mit einschlägigen Pullis und Symbolen tummeln, solange viele Politiker und Kommentatoren weiter ignorieren, wie gesellschaftsfähig rassistische und antisemitische Stereotypen wieder geworden sind, bleibt es eine primär symbolische Frage, ob man die NPD denn nun für illegal erklärt oder nicht. An der gesellschaftlichen Realität wird sie nichts ändern. Genau das wäre aber nötiger denn je.

 

Angriff auf die Herzkammer
Dortmund ist seit jeher eine linke Stadt mit einem antifaschistischen Grundkonsens – dass ausgerechnet hier die Hochburg der „Autonomen Nationalisten“ (AN) entstehen konnte, hat viele überrascht. Nun ist Dortmund aufgewacht.
erschienen bei GEW.de, Feb 2012

Dortmund-Dorstfeld. Wenn Journalisten zeigen wollen, dass es auch in Westdeutschland gefestigte neonazistische Strukturen gibt, fahren sie in die 580.000-Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet. Und tatsächlich sieht man auch an diesem regnerischen Januarnachmittag unzählige Zeugnisse des braunen Ungeistes. Es genügt, mit der Linie 44 von der Dortmunder Innenstadt Richtung Marten zu fahren, an der Haltestelle „Wittener Straße“ auszusteigen und sich einmal die Laternenmasten in diesem multikulturellen Stadtteil etwas genauer anzuschauen.

„Der nationale Widerstand marschiert“ steht auf einem Aufkleber, „Volkstod stoppen“ auf einem anderen. „Antifagruppen zerschlagen“, „Kampf um Deutschland“ und – ganz raffiniert – „für ein würdevolles Leben aller Menschen in ihrer Heimat“ auf einem dritten. Was humanistisch klingen soll, ist die völkisch-modernisierte Spielart des althergebrachten „Ausländer raus“. Der Aufkleber ist eine gedankliche Referenz an einen gewissen Anders Breivik, der in Norwegen auch nicht auf Zugewanderte zielte, sondern auf Sozialdemokraten, die seiner Meinung nach den „Volkstod“ durch ihr Engagement für eine multikulturelle Gesellschaft erst ermöglichten. Eine zeitgemäße Form des Nationalsozialismus, dargebracht in trendigen Aktionsformen – das ist das Anliegen der „Autonomen Nationalisten“, der neonazistischen Spielart, die unter Jugendlichen im vergangenen Jahrzehnt am meisten Zulauf hatte.

Inhaltlich heben die „AN“ dabei auf einen „nationalen Sozialismus“ ab, kopieren dabei linke Argumentationsmuster und Agitationsformen. Der pseudo-rebellische Gestus soll revoltierende Jugendliche ansprechen. Auf den ersten Blick fällt es selbst altgedienten Antifa-Aktivisten zuweilen schwer, die AN-ler vom „Schwarzen Block“ der linken Gegendemo zu unterscheiden. Auch die ANler tragen schwarze Klamotten. Kapuzenpulli und Sonnenbrille sollen – auch das eine linke Strategie – die Identifikation des Einzelnen in der Menge erschweren.

Hochburg der „AN“

Dortmund ist die deutsche Hochburg der „Autonomen Nationalisten“. Rund um den Wilhelmplatz wohnen ihre Aktivisten in zahlreichen Neonazi-WGs. Und dass die jungen Rechten, die sich hier zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts anzusiedeln begannen, so gar nicht aussahen wie man sich jugendliche Neonazis vorstellte, ist Teil des Problems, das der Stadt mittlerweile eine verfestigte rechte Szene beschert hat. Glatze, olivgrüne Bomberjacke und Springerstiefel trugen die Neu-Dorstfelder schon früher nicht.

Dennis Giemsch, einer der führenden Köpfe der deutschen AN-Szene, hat sich als einer der ersten in Dortmund niedergelassen. Zunehmend zogen danach Gesinnungsgenossen aus dem Umland dorthin – auch weil die Mieten in dem traditionellen Arbeiterstadtteil noch erschwinglich sind. Heute betreibt Giemsch von hier aus sowohl einen Versandhandel als auch die wohl wichtigste AN-Internetplattform (oder „Weltnetztreffpunkt“, wie die Rechten sagen) „widerstand.info“.

Subkulturelle Zusammenhänge

„Das war zunächst eine kleine Clique, die sich hier ansiedelte und anfangs nicht erkannt wurde“, berichtet Claudia Luzar, die heute in Dortmund die erste westdeutsche Opferberatungsstelle „Back Up“ wissenschaftlich betreut und leitet. Dafür ist die Mitarbeiterin des Bielefelder Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer prädestiniert. Beim Thema „AN“, über das sie promoviert hat, ist sie Expertin. „Die Dortmunder haben anfangs sehr eng mit der Berliner Szene zusammengearbeitet und sich beraten lassen, wie man Strukturen schafft.“ Sehr entgegen kam den Dortmundern dabei die Mimikry-Strategie, die schon in der Hauptstadt erfolgreich ausprobiert worden war. „In Berlin haben sich Autonome Nationalisten immer wieder im Kreuzberger ‚SO 36’, dem Punkladen schlechthin, herumgetrieben. Danach haben sie sich gefreut, dass sie dort nicht aufgefallen sind.“ Die Aktivisten leben in subkulturellen Zusammenhängen, die früher als Refugien der Linken galten. Die Straight-Edge-Bewegung (keine Drogen, kein Alkohol) etwa, weiß Luzar, hat bei den Autonomen Nationalisten ebensoviele Sympathisanten wie eine vegane Lebensweise. Wer vermutet schon, dass der eloquente junge Mann, der die Vorzüge von Tofuwürstchen lobt und eine radikalere Globalisierungskritik als mancher „attac“-Aktivist formulieren kann, ein in die Wolle gefärbter Neonazi ist, der all das prima mit einem blindwütigen Antisemitismus und einer Gewaltbereitschaft vereinbaren kann, die die extreme Rechte kennzeichnet.

Dortmund galt einst als „Herzkammer der Sozialdemokratie“. Und auch, wenn die Sozialdemokraten heute kämpfen müssen und die lange Zeit üblichen Wahlergebnisse von über 60 Prozent der Stimmen Geschichte sind – die Ruhrgebietsmetropole ist noch heute eine „linke“ Stadt. Eine Kommune, deren maßgebliche Akteure (SPD, Grüne, Linkspartei, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände etc.) ein antifaschistischer Grundkonsens eint. „Eine verfestigte rechte Szene“, sagt Luzar, „gehörte nicht zum Selbstverständnis dieser Stadt.“ Die Kommune hielt sich für gründlich immunisiert – und merkte nicht, was in ihrer Mitte geschah. Was Luzar zur spitzen Bemerkung veranlasst, dass es so eine Sache sei mit einem „Antifaschismus, der eingefroren ist, statt sich immer wieder neu zu definieren“. Es bestritt ja niemand, dass es in Dortmund ein paar rechte Fußball-Hooligans um den bundesweit bekannten, ideologisch eher schlichten Siegfried Borchardt („SS Siggi“) und einige reichlich tumbe Skinheads gab, doch die stellten keine reale Gefahr dar. Man glaubte, die Dortmunder seien geimpft gegen Rechts. Dabei hatte es seit der Jahrtausendwende mehr als ein Signal gegeben, dass die Stimmung kippt.

Rechter Terror

Am 15. Juni 2000 ermordete der Neonazi Michael Berger drei Polizisten, ehe er sich selbst einen Kopfschuss verpasste. Die Szene hat die Bluttat gefeiert: „Berger war ein Freund von uns – 3:1 für Deutschland“ stand auf Plakaten und Aufklebern. Knapp fünf Jahre später wurde Thomas „Schmuddel“ Schulz vom Dortmunder Nazi Sven K. erstochen, der aus dem Umfeld der „Skinheadfront Dorstfeld“ stammt. Der Punk hatte ihn zuvor wegen seiner Nazi-Pöbeleien zur Rede gestellt. Nach seiner Haftentlassung wurde K. im vergangenen Dezember wieder auffällig, als er auf dem Weihnachtsmarkt zusammen mit einem halben Dutzend Gleichgesinnter zwei Türken angriff. Schulz´ Todestag „feiert“ die Dortmunder Naziszene jedes Jahr mit einem Aufmarsch, der neben dem 1. Mai und dem „Antikriegstag“ im September zu den Highlights im rechtsex-tremen Kalender gehört. „In Dortmund zeigt sich, wie die Gewaltverherrlichung der rechten Milieus immer wieder auch ihre Todesopfer fordert“, sagt Stefanie Gomez vom Forum gegen Rassismus Campus Dortmund. Doch die Aufmärsche sind nur die Spitze des Eisbergs: Im Dezember 2010 wurde die alternative Kneipe „Hirsch Q“ überfallen, zahlreiche Antifaschisten und Migranten werden Opfer rechter Übergriffe. Und eine Familie in Dorstfeld, die sich den Rechten entgegengestellt hatte, so lange terrorisiert, bis sie wegzog. Es folgten Anschläge auf die Büros der Parteien „Die Linke“ und der „Grünen“, Gewerkschafter und Sozialdemokraten gerieten ins Visier der Neonazis. Am 1. Mai 2009 griffen hunderte AN-Aktivisten die 1.-Mai-Demo des DGB an. Der Terror war in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und: Die Rechten zielten auf die Herzkammer der Arbeiterbewegung.

„Erst traf es nur Migranten oder Punks“, berichtete ein Mitglied der „Dortmunder Antifa Union“ Anfang des Jahres bei einem Vortrag über die rechte Szene der Stadt. Doch erst als auch bürgerliche Nazigegner attackiert wurden, hätten in der Stadt die Alarmglocken geschrillt. „Uns stört noch heute diese ‚Wir wussten von nichts’-Haltung.“ Mittlerweile ist das offizielle Dortmund aufgewacht. Spät, aber nicht zu spät. Die Stadt stellt sich ihrer Verantwortung und setzt einen ehrgeizigen „Aktionsplan gegen Rechtsex­tremismus“ um. In Dorstfeld selbst agiert ein rühriger „Runder Tisch“, der sich um die Opfer der Rechten kümmert, Aufklärungs- und Präventionsarbeit leistet und vor allem Gesicht zeigt – eine Praxis, die sich die Antifa auf ihrer Veranstaltung im „Reinoldinum“ nicht zu eigen macht. Beim Vortrag sitzen deren Referenten stattdessen mit weißen Anonymous-Masken auf dem Podium. Die Rechten, erfährt der geneigte Zuhörer über den Grund der Vermummung, säßen mittlerweile auch bei Veranstaltungen ihrer Gegner und outeten deren Protagonisten danach. Manch einer im Raum schüttelt skeptisch den Kopf, als er das hört. Wenn sich Antifaschisten bei ihren eigenen Veranstaltungen hinter weißen Masken verstecken, sei die Strategie der Rechten aufgegangen, finden sie.

Es geht auch offensiv. Das zeigt ein erneuter Besuch in Dortmund-Dorstfeld am Tag darauf. Mehrere Dutzend neonazistische Sticker waren am Abend zuvor verklebt worden. Jetzt hängen nur noch einige Fetzen herab. „Dorstfeld ist keine braune Zone und wird es nicht werden“, sagt Claudia Luzar. „Dazu ist die Gegenwehr zu stark.“